TA KT LOS .15
29. April 2015 20:00 | bis | 30. Mai 2015 20:00 |
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¦~ E d i t o r i a l _¦_
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¦~«Ich kenne die Melodie, du kennst die Melodie, warum soll ich sie spielen?» Das Zitat wird Wes Montgomery, einem der prägendsten Jazzgitarristen zugeschrieben. Es könnte als Motto über dem Taktlos stehen. Es gilt zwar nicht in dieser Rigidität, aber das hat Montgomery auch nicht gemeint. Sie werden also auch einiges Bekanntes zu hören bekommen, aber wohl eher in einer unerhörten oder noch nie gehörten Form.¦
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¦ Seit den ersten Tönen im orwellschen Jahr 1984 sind über drei Jahrzehnte mit waghalsiger Musik zwischen den Genres und abseits des Mainstreams vorbeigezogen. Über tausend MusikerInnen waren bei den rund 270 Konzerten beteiligt, die an 91 Tagen stattgefunden haben. Nun folgen vier weitere Tage mit neununddreissig meist jungen MusikerInnen, von denen nur sieben an einem der früheren Festivals zu hören waren. Es sind also Entdeckungen zu machen, junge Gesichter zu sehen, und für Überraschungen ist gesorgt.
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¦ Wir haben das Festival zeitlich leicht nach vorne verschoben. Neu findet es Ende Mai von Donnerstag bis Samstag statt. Zusätzlich ist als Ouvertüre zum Taktlos ein Konzert mit Paal Nilssen-Love und seiner Large Unit programmiert, das bereits Ende April über die Bühne geht. Der norwegische Schlagzeuger hat in seiner skandinavischen Heimat nach jungen MusikerInnen gesucht, sie gefunden und in der Large Unit zusammengeführt. Es ist ein fulminanter Auftakt zum skandinavischen Schwerpunkt des Taktlos zu erwarten.
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¦ Er soll zeigen, was eine grosszügige und vorbehaltlose Förderung von sperriger Musik in diesen Ländern hervorbringt und dass sie auch Grossformationen ausgiebiges Touren ermöglicht. Es sind Bedingungen, von denen andere in der Sparspirale drehende europäische Länder nur noch träumen können, in den USA können sie nicht mal das. Bei uns werden dafür Studien angefertigt, die aufzeigen sollen, wie viel Geld durch die Kultur für die lokale und internationale Wirtschaft generiert wird.
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¦ Dieses Jahr stehen zwei Grossformationen, zwei Quartette, zwei Trios, ein Duo und zwei Solisten aus einem artenreichen Biotop auf der Bühne. Es sind MusikerInnen aus Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Belgien, England, Italien, Österreich, Deutschland, Südafrika, USA, Kanada und der Schweiz. Ihre Musik weist facettenreich in die verschiedensten Richtungen. Sie verarbeiten musikalische Inspirationen aus allen Weltgegenden. Als Viel- und Weitgereiste verlassen sie sich dabei nicht nur auf das Internet. Persönliche Kontakte und Begegnungen auf allen Kontinenten helfen, das Gehörte zu vertiefen und in einen historischen Kontext einzuordnen.
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¦ Sie führen zu neuen «working bands», wie das Quartett des Berner Bassisten Bänz Oester zeigt, das Südafrika mit der Schweiz verbindet. In ihrem Repertoire findet unter dem Jazzlabel Township Jive aus Johannesburg traditionelle einheimische Volksmusik, angereichert und gewürzt mit schmissiger Musik aus dem Balkan, zusammen. Im Wild Chamber Trio haben sich mit Elisabeth Harnick, Clementine Gasser und Gianni Mimmo über Grenzen hinweg verwandte Geister gefunden. Die junge dänische Saxofonistin Mette Rasmussen und der aus den USA stammende Chris Corsano haben eben ihre erste CD «All the Ghosts …» veröffentlicht und nehmen tüchtig Schub auf. Im Mai sind sie während achtzehn Tagen zwischen Trondheim, Antwerpen und Lille im Rock-’n’-Roll-Modus unterwegs, kommen also optimal eingespielt in Zürich an.
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¦ Den Musikern des schwedischen Saxofonisten Martin Küchen gehört – wie Paal Nilssen-Love – beinahe ein ganzer Abend. In kleinen, spontan gebildeten Formationen zeigen sie zur Einstimmung ihr improvisatorisches Geschick. Dann wachsen sie zum Nonett an und rauschen als Angles 9 ganz vergnügt und mit hymnischer Inbrunst durch Küchens Kompositionen.
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¦ Der aus Antwerpen stammende Klarinettist/Saxofonist Joachim Badenhorst und der Pianist Alexander Hawkins aus Oxford sind zwei aussergewöhnliche junge Musiker. Sie sind solo, sozusagen in der Königsdisziplin zu hören. Sie reizen ihre Instrumente aus, ohne dabei die Jazztradition aus den Augen zu verlieren. Um ihre musikalische Unabhängigkeit zu wahren, haben beide vor kurzem ihre eigenen Labels gegründet.
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¦ Anthony Braxton war 1984, also im Geburtsjahr des Taktlos, erstmals bei Fabrikjazz zu Gast. Vier Jahre später spielte er dann im Rahmen des Festivals. Sein Auftritt mit den achtzehn Musikern des Barry Guy London Jazz Composers Orchestra, bei dem einige seiner grafisch notierten Kompositionen zur Aufführung kamen, blieb in der Erinnerung haften. Nicht zuletzt auch dank der liebevoll gemachten Doppel-LP, die das Intakt Label 1988 veröffentlichte und später als CD zugänglich machte. Im Oktober 1993 folgte sein Charlie-Parker-Programm, bei dem Misha Mengelberg und Han Bennink dabei waren. Wiederum ein bemerkenswertes Konzert, das von HatHut Records auf CD veröffentlicht wurde. Nun ist Braxton nach zweiundzwanzig Jahren und kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag zurück. Mit dem Diamond Curtain Wall Quartet, dem Taylor Ho Bynum, Ingrid Laubrock und Mary Halvorson angehören, bringt er MusikerInnen aus seinem engeren Umfeld mit. Sie waren in den vergangenen Jahren wiederholt in der Roten Fabrik zu hören.
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¦ Fabrikjazz versucht seit den Anfängen in den achtziger Jahren, den MusikerInnen gute Bedingungen und den BesucherInnen anspruchsvolle Konzerte zu moderaten Preisen zu bieten. Ein solch unabhängiges Programm ist nur dank der Unterstützung der Stadt Zürich
und des Kulturzentrums Rote Fabrik möglich. Das Taktlos ist ein Premierenfestival und lässt neue Beziehungen entstehen. Mit Philip Jeck, Michaela Grill und Karl Lemieux beschliesst ein Dreigestirn aus Liverpool, Wien und Montreal das Programm. Sie werden das Publikum nicht zum Tanzen bringen, dafür aber auf einer äusserst experimentierfreudigen Ebene audio-visuelle Möglichkeiten ausloten sowie analog und digital in neue Sphären vorstossen.
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¦ Fredi Bosshard, 21. März 2015, Fabrikjazz Zürich